Donnerstag, 29. November 2007

Was ist "weird"?

Der Ausspruch "every weirdo on this planet is on my wavelength" wird Thomas Pynchon zugeschrieben und auch die letzte Rezension von "Against the Day" bei Telepolis bedient sich dieser Vokabel, um das Werk zu beschreiben. Mich beschleicht dabei mitunter aber der Verdacht, dass "weird" einfach anstelle von "komplex" oder "kompliziert" verwendet wird. Viel mehr als eine notwendigerweise unvollständige Inhaltsangabe und mehr oder weniger unzureichende Erklärungsversuche (immerhin) kommen aber auch hier nicht zustande:

"Weirder" als alles andere
Worum es geht? Normalerweise ist es kein gutes Zeichen, wenn sich darauf keine klare Antwort geben lässt; bei Pynchon liegt das aber nicht an unkontrollierter Verworrenheit oder unklarer Struktur, sondern an der schieren Fülle des Materials, das er verarbeitet hat. Kann immerhin der Zweck der Anstrengung in einem Satz gefasst werden? Pynchon will offenbar die Frage erforschen, was wohl die formativen Jahre der Moderne gewesen sein mögen, und was wohl seinerzeit schief gelaufen sein muss, damit unsere Welt aussieht, wie sie heute aussieht. Das ist keine umwerfend neue Frage, auch die Antworten darauf weisen oft auf eine Epoche hin: Die Zeit um den ersten Weltkrieg ist als Ausgangspunkt für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts nahezu unstrittig.
(...)
Anachronismen sind - was wiederum dem Titel höchst gemäß ist - bei "Against the Day" keine Fehler, sondern Gestaltungsprinzip. Ergebnis ist ein halluziniertes Kontinuum, in dem alle Zeitebenen einander durchdringen. Bemerkenswerterweise verliert sich dadurch die Erzählung nicht in einem richtungslosen Einerlei; sie bleibt stets in der Hand des Autors - wenn auch nicht unter seiner völlig bewussten Kontrolle, was dem Roman auch ganz unangemessen wäre. Und das ist dann auch die schönste Synchronizität, die Pynchon seinem Leser zu bieten hat: Den groben Zügen seiner Erzählung kann man leicht folgen, aber in ihrem Unterholz, in ihrem Kleingedruckten gewissermaßen, lauern viel mehr Fußangeln, als man auf die ersten drei Blicke ahnt.
(Marcus Hammerschmitt, Telepolis, 17.11.2007)

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