Das ist jedoch nicht überall so. Der britische Guardian berichtet von den "Child 'witches' in Africa", Kindern, die von ihrer Umgebung für das allgegenwärtige Unglück, Armut, Krieg und Krankheit verantwortlich gemacht werden. Da reicht es mittlerweile schon, als Zwilling geboren worden zu sein, um als Hexenkind gebrandmarkt zu werden. Das ist aber beileibe keine neue Erscheinung, schon 2005 berichtet Bartholomäus Grill in der ZEIT von diesem Phänomen. In seinem Artikel berichtet Grill von der im ersten Moment durchaus provokanten These, dass der Aberglaube das größte Entwicklungshemmnis für den afrikanischen Kontinent sei. Seit dem Ende des "reinen" Kolonialismus zu Anfang der sechziger Jahre sind rund eintausend Milliarden Dollar an Entwicklungshilfe nach Afrika geflossen und, gemessen an dem Ergebnis, dort in dunklen Kanälen versickert. Ist aber nur die allgemeine Rückständigkeit und der Mangel an Bildung verantwortlich, wenn die Menschen an das "Böse" zu glauben beginnen (oder damit nicht aufhören), oder aber liegen den Ängsten nicht absolut reale Gefahren zugrunde:
Die Angst, sagt der nigerianische Literat Chinua Achebe, sei das große Problem seines Erdteils. Krieg, Gewalt und Elend vergällen das Leben zahlloser Afrikaner, Millionen hungern, Millionen sind auf der Flucht, Millionen sterben an Aids oder Malaria. Staatsattrappen wie der Kongo, Somalia oder Liberia zerfallen, vielerorts herrschen Chaosmächte und das darwinistische Recht des Stärkeren. Es kommt den Afrikanern manchmal vor, als hätten sich alle Teufel gegen sie verschworen. Sie müssen um ihr Leben fürchten, wenn sie einen schrottreifen Kleinbus besteigen, sich ein unbekanntes Virus einfangen oder den Weg eines mit Drogen voll gepumpten Kindersoldaten kreuzen. Der Alltag des Schreckens nährt ihre Hoffnungslosigkeit, viele fallen in Agonie, verzweifeln, werden anfällig für spirituelle Heilsversprechen. Gleichzeitig sehen sie das Luxusleben und die Prahlsucht der korrupten Eliten, und auch der sagenhafte Wohlstand des Nordens bleibt dem hintersten Urwalddorf nicht mehr verborgen – auch dort flimmert ein Fernsehkasten.
Bartholomäus Grill: Die Macht der Hexen, (DIE ZEIT Nr.38, 15.09.2005)
Chinua Achebe hat mit "Things Fall Apart" (1959) einen der besten und zugleich wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts verfasst, Achebe gilt zu Recht als Begründer der modernen nigerianischen Literatur. Leider wurde das Buch nur völlig inadäquat ins Deutsche übersetzt. Das Original aber ist zum Glück nicht so schwer zu verstehen, dass man nicht getrost auf "Okonkwo oder Das Alte stürzt" verzichten könnte.
Das Besondere an "Things Fall Apart" ist, dass der Roman zweigeteilt ist, dass anfangs ein Afrika vor der Ankunft der Europäer präsentiert wird, während sich der zweite Teil dem Chaos widmet, dass die Kolonisatoren in der traditionellen afrikanischen Gesellschaft anrichten.
Doch auch das Ende der Kolonialzeit hat das Chaos nicht beendet, die Lage der meisten Afrikaner kaum verbessert:
Jeden Tag fragen sich Millionen von Afrikanern: Wie können die Weißen Raketen ins All schießen und Computer bauen? Warum sind sie so reich und wir so arm? Und jeden Tag antworten sich Millionen: weil sie mit übernatürlichen Mächten im Bunde sind und die besseren Hexen haben. Die mentale Triebkraft der Modernisierung, die protestantische Ethik, also jenes fromme Schaffen und Raffen, das laut Max Weber den Kapitalismus in Europa befeuerte, hat sich in Afrika noch nicht entfaltet. Das pauperisierte Volk glaubt, dass sich der Wohlstand irgendwie herbeizaubern lasse – und handelt danach. Die Anthropologen Jean und John Comaroff haben dafür den Begriff »okkulte Ökonomie« geprägt: Er umschreibt die Anwendung magischer Mittel zur Erzeugung materieller Reichtümer, Mittel, die rational nicht erklärbar sind und oft auf der Vernichtung anderer Menschen beruhen.
ibid
Mich erinnert diese Beschreibung an eine Szene aus einem belgischen Buch, das sich mit dem Ende des belgischen Kolonialismus im Kongo beschäftigt.
In Mireille Cottenjés stark autobiographisch getöntem Roman "Lava" (1969), in dem die Autorin ihre eigene Befreiung aus den engen belgisch-katholischen Eheverhältnissen parallel zum Prozess der Unabhängigkeit des Kongo erzählt, wo sie Ende Juni 1960 als Frau eines kolonialistischen, patriarchalischen Ehemannes lebte, werden insbesondere die Tage um den 30. Juni 1960 herum ausführlich erzählt.
So berichtet die Erzählerin vom 29. Juni 1960, dass die schwarzen Frauen, die ansonsten jeden Tag zum "Unterricht" zu ihrer weißen Herrin kamen (eine Art Schule, die die Gattin des Kolonialherrn gegen dessen Willen eingeführt hatte), an diesem Tag vor Inkrafttreten der staatlichen Unabhängigkeit des Kongo, nicht erschienen waren. Von ihr nach den Gründen befragt, antworten die Frauen, dass dieser Unterricht ja nun nicht mehr nötig sei, den ab morgen hätten sie ja die "Dipenda" (Unabhängigkeit) und wären dementsprechend ab morgen automatisch ebenso reich und "schlau" wie die Weißen...
Mireille Cottenjé erzählt auch von den afrikanischen Lokalpolitikern, die im Vorfeld des 30. Juni durch die Dörfer fahren und den Menschen genau diesen Floh ins Ohr setzen, was mich nun wieder an die ganz aktuellen Vorwürfe erinnert, mit denen Robert Mugabe und andere afrikanische Politiker auf die Kritik der Europäer an den Menschenrechtsverletzungen in Afrika reagiert haben. Frau Merkel muss aufpassen, dass sie nicht nur als "Rassistin" oder "Faschistin" diffamiert wird, sondern demnächst vielleicht auch als eine der "besseren Hexen" gilt, über die wir Europäer nun einmal verfügen...
Rassismusrüffel für Merkel
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